Britisches Empire: Das erste britische Empire in Nordamerika

Britisches Empire: Das erste britische Empire in Nordamerika
Britisches Empire: Das erste britische Empire in Nordamerika
 
Freibeutertum und koloniale Propaganda
 
Die Anfänge des englischen Expansionismus in der Neuen Welt gehen auf die Entdeckungsfahrten im Gefolge des englischen Seefahrers italienischer Herkunft, John Cabot, mit italienischem Namen Giovanni Caboto, zurück, der zusammen mit seinem Sohn Sebastian die Küste Neufundlands erkundete und, nach dem folgenlosen Vorspiel der Wikinger um 1000, am 24. Juni 1497 nordamerikanisches Festland betrat. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts begnügten sich die Engländer allerdings mit der Beteiligung am Fischfang auf den Neufundlandbänken. Die eigentliche Koloniegründung setzte erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Elisabeth I. ein, wofür das Aufkommen einer merkantilistischen Wirtschaftsgesinnung sowie steigende soziale Nöte der städtischen und ländlichen Unterschichten im Zuge von Überbevölkerung und sozialem Druck die wichtigsten Faktoren darstellten. Der politische, ökonomische und nicht zuletzt ideologisch-religiöse Gegensatz des im Aufstieg begriffenen englischen Nationalstaates zur spanischen Universalmonarchie kam hinzu.
 
Unter Elisabeth legten berühmte Seefahrer (sea dogs) wie Francis Drake, Walter Raleigh, John Hawkins und andere, deren von der Krone geduldete Kaperfahrten zwischen 10 und 15 Prozent der auswärtigen Einnahmen Englands ausmachten, den Grundstein für die britische Kolonialmacht. Antrieb waren, wie bei den Spaniern, Portugiesen und Franzosen, die Hoffnung auf Edelmetallfunde und die Gewürze Indiens. Den Zugang nach Asien hoffte man entweder über eine östliche oder eine westliche Passage zu finden. Während der 1588 als Vizeadmiral Drakes am Kampf gegen die spanische Armada beteiligte Martin Frobisher auf drei Reisen zwischen 1576 und 1578 den direkten nordwestlichen Seeweg um Amerika nach Asien suchte und dabei bis zur Baffininsel und in die Hudsonstraße gelangte, segelte Francis Drake durch die Magellanstraße in den Pazifik und suchte von Westen her eine Fahrtroute durch den nordamerikanischen Kontinent. Bei dieser Gelegenheit erkundete er Kalifornien, das er als New Albion für England in Besitz nahm. Über die Marianen und die Molukken, wo er für einen Teil des von den Spaniern vor San Francisco erbeuteten Goldes und Silbers Gewürze aufkaufte, kehrte er nach England zurück. Als erster Engländer hatte er, dafür von Elisabeth I. geadelt und zum Admiral befördert, die Welt umsegelt. Auf drei Expeditionen in nordpolare Gewässer befuhr John Davis die nach ihm benannte Meeresstraße und erreichte ebenfalls den Eingang der Hudsonbai, wurde aber immer wieder durch das Packeis zur Umkehr gezwungen. Humphrey Gilbert, ein königlicher Günstling, suchte demgegenüber in seiner »Abhandlung über die Entdeckung eines neuen Seeweges nach Cataia« von 1576 den systematischen Beweis für das Vorhandensein einer nordöstlichen Durchfahrt nach Ostasien zu erbringen. Sein Patent von 1578, das ihn zur Entdeckung und Inbesitznahme allen unbesetzten Landes zwischen Labrador und Florida ermächtigte, ist wohl das erste Dokument einer englischen Kolonialpolitik.
 
Die im Auftrag Walter Raleighs unternommenen Fahrten eröffneten schließlich den englischen Siedlungskolonialismus an der Ostküste Amerikas. 1584 erhielt der Halbbruder Humphrey Gilberts, der gleichfalls Günstling Elisabeths I. war, einen Freibrief (charter) für ein Kolonisationsunternehmen in der Neuen Welt. Auf der Insel Roanoke vor der Küste des heutigen North Carolina wurde daraufhin die erste englische, von Raleigh zu Ehren der unverheirateten Königin Virginia genannte Siedlung auf amerikanischem Boden begründet. 1590 fand man indessen keinen der 110 Kolonisten mehr vor.
 
Walter Raleigh und die Expansionisten wurden wirkungsvoll unterstützt von dem engagiertesten Kolonialpropagandisten der elisabethanischen Zeit, Richard Hakluyt, Wortführer der aggressiv antispanischen, expansionistischen Partei am Hofe. Der anglikanische Theologe und Geograph sammelte sämtliche Reiseberichte aus europäischen Entdeckerkreisen, deren er habhaft werden konnte, und publizierte sie, wobei er in den Vorworten, Widmungen und Ähnlichem seine eigenen Auffassungen wiedergab. Seit 1846 veröffentlicht die nach ihm benannte renommierte Hakluyt Society bedeutende Reiseberichte der Entdeckungsgeschichte.
 
Nachdem Hakluyt 1582 in seinem ersten Werk »Verschiedene Reisen zur Entdeckung Amerikas« den britischen Anspruch auf Nordamerika erhoben hatte, legte er in seiner zweiten Veröffentlichung 1584 »Abhandlung über das Ansiedeln im Westen«, auf Wunsch Raleighs für die Königin angefertigt, die Vorzüge einer Kolonialgründung in der Neuen Welt systematisch dar. Er pries überseeische Gebiete als Absatzmärkte für englische Wolle und als Bezugsquellen für unterschiedlichste Produkte wie Eisen, Salz, Wein, Öl, Orangen, Zitronen und Feigen, die man bis dahin teuer von den Niederländern und Franzosen hatte kaufen müssen. Vor allem würden sich Kolonien als Ventil für den englischen Bevölkerungsüberschuss und gescheiterte Existenzen anbieten. Es folgten Hinweise auf die günstige strategische Lage der Kolonien in der Auseinandersetzung mit Spanien und fiskalische Gesichtspunkte. Die Aufgabe der Verbreitung des Evangeliums, selbstverständlich an den Anfang gestellt, wird ebenso hervorgehoben. Hakluyts Hauptwerk von 1589, »Die wichtigsten Schifffahrten, Reisen, Handels- und Entdeckungsfahrten der englischen Nation zu Wasser oder über Land«, ein aus anderen Werken und Nachrichten zusammengestelltes Kompendium, brachte noch einmal das imperiale Programm für die britische Politik und die einzigartige Auserwähltheit des englischen Volkes zu Kolonisierung und Christianisierung zum Ausdruck. Im Verständnis dieses ersten »Apostels« des britischen Empire hatte Gott gewisse Regionen der Welt bestimmten Völkern reserviert, wobei den Engländern als Manifest Destiny, also als ureigene Bestimmung, die Errichtung eines anglikanischen Reiches in Nordamerika zufiel.
 
 Virginia oder Die Pocahontas-Romanze
 
Nach dem Friedensschluss mit den Spaniern 1604 hatten die Engländer die Hände frei, um das von Richard Hakluyt anvisierte Ziel einer Handels- und Siedlungskolonie auf dem nordamerikanischen Kontinent zu verwirklichen. Am 16. April 1606 stellte König Jakob I. den Freibrief für die Virginia Company aus. Hinter ihr standen Kaufleute und Landadlige, die kommerzielle und nationale Ziele verfolgten. Für das Gebiet zwischen dem 34. und 45. Breitengrad waren Agrarsiedlungen vorgesehen, deren Kolonisten für ihre Arbeit im Dienst der Kompanie mit Landbesitz nach dem Kopfrechtsystem entschädigt werden sollten.
 
Vorerst hatte die 1607 an der Chesapeakebai begründete und zu Ehren Jakobs I. nach dem englischen Namen für Jakob Jamesfort beziehungsweise Jamestown genannte Siedlung jedoch mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen. Nur mithilfe der Indianer vermochten die von Typhus, Skorbut und anderen Mangelkrankheiten heimgesuchten Kolonisten überhaupt zu überleben. Dabei hatten es die Engländer mit den Powhatan zu tun, etwa 30—40 verschiedenen Gruppen eingewanderter Indianer der Algonkin-Sprachfamilie, von denen sich mehrere zu Bündnissen zusammengeschlossen hatten. Die größte Vereinigung stellte der Powhatan-Bund dar, nach ihrem »monarchischen« Oberhaupt Powhatan benannt. Die Powhatan verfügten über feste Wohnsitze und bauten in ihren Gärten Tabak, Mais, Kürbisse, Erbsen, Bohnen und andere Gemüse an. Tauschgeschäfte mit den Neuankömmlingen, wohl aber auch Powhatans Absicht, die Engländer als militärische Verbündete zu gewinnen — während diese ihn zum Vizekönig krönen wollten —, sprachen auch aus Sicht der Indianer für ein friedliches Nebeneinander. In dieser Phase des Kulturkontaktes, in der die Siedler schon aus Gründen des eigenen Überlebens auf die Indianer angewiesen waren, konnte sogar von einer gewissen »Indianisierung« der Kolonisten die Rede sein, während umgekehrt Indianer bei Europäern wohnten und an ihren Tischen aßen, ohne dass es freilich zu einem tieferen europäisch-indianischen Kulturaustausch kam. Gefestigt wurde dieses einigermaßen verträgliche Zusammenleben durch die Beziehung der Häuptlingstochter Pocahontas zu dem englischen Kapitän John Smith, den sie während dessen Gefangenschaft bei den Powhatan im Winter 1607/08 vor der Hinrichtung bewahrt haben soll. Es handelte sich wohl um eine Scheinexekution, die seine Aufnahme als Stammesmitglied symbolisierte. Von John Smith stammen auch die wichtigsten Berichte und Karten über die Anfänge der Kolonie Virginia sowie über die politischen, sozialen und religiös-kulturellen Verhältnisse der Ureinwohner, wobei das Indianerbild von Smith zunächst noch von seiner ursprünglichen Faszination zeugt, bevor es dann die gewandelten Beziehungen spiegelt.
 
Denn wachsende Siedlerzahlen, das Bedürfnis der Engländer nach mehr Land, Provokationen von ihrer, Diebstahl und Plünderungen von indianischer Seite hatten die Lage zunehmend verschärft. Als die Powhatan den Engländern keine Nahrung mehr lieferten, standen diese vor der Aufgabe der Kolonie. Verstärkungen aus der Heimat im Zuge erneuerter Freibriefe, den charters von 1609 und 1612 für die inzwischen zum Prestigeobjekt gegenüber den Spaniern gewordene Kolonie, bedeuteten die Wende. Ein strenges Regiment unter der Leitung des ersten Gouverneurs Thomas West, Lord De La Warr, das einige Engländer sogar zu den Powhatan überlaufen ließ, Bündnisse mit den Gegnern der Powhatan und die Waffenüberlegenheit brachten kriegerische Erfolge, die in der Entführung von Pocahontas 1613 gipfelten. Im folgenden Jahr wurde sie mit dem Siedler John Rolfe verheiratet, nachdem sie auf den Namen Rebecca getauft worden war. Während einer Englandreise wurde sie bei Hof vorgestellt und in gesellschaftlichen Kreisen empfangen. Im März 1617 starb die »Indianerprinzessin«, die nie das Symbol für eine wirkliche Kultursynthese war. Ihr Englandbesuch hatte in erster Linie der Werbung für die neue Kolonie gedient.
 
Tatsächlich brachen zwischen 1617 und 1622 rund 4600 neue Kolonisten nach Amerika auf. Mit ihrem Landhunger verschärften sich die gegenseitigen Übergriffe. 1622 fielen die Virginia-Indianer über die Siedler her und töteten in wenigen Stunden 300 Männer, Frauen und Kinder. Die Engländer reagierten mit blutiger Vergeltung auf das Massaker. Gleichzeitig setzte die Diskussion darüber ein, ob man die Indianer vertreiben oder ausrotten solle. Die kriegerischen Auseinandersetzungen währten noch, mit Unterbrechungen, über zwei Jahrzehnte. Dann wurden den verbliebenen Powhatan Reservationen zugewiesen — die Geburt des Reservationssystems —, während ihr Anführer Opechancanough, der Nachfolger des 1618 gestorbenen Powhatan, künftig das Gegenbild des »bösen Wilden« oder »roten Teufels« (red devil) zu der in zahlreichen Romanen und Filmen weiterlebenden »guten Indianerin« Pocahontas, der »edlen Wilden« (noble savage), verkörpern sollte. Wirtschaftlich überlebte die Kolonie durch den erfolgreich begonnenen Tabakanbau, der bald zum Ankauf von schwarzen Sklaven führte.
 
 Der puritanische Exodus
 
Zentral für die Entwicklung von Neuengland sollte das religiöse Dissidententum werden. Die Bewegung der dissenters hatte sich seit Mitte der 1560er-Jahre in Auseinandersetzung mit der etablierten Kirche von England und als Folge politischer, sozialer und wirtschaftlicher Probleme in England ausgebildet. Kirchlich strebte sie eine Reinigung (purification) der Religion Englands von den »papistisch«-hochkirchlichen Einflüssen an, aber auch eine Wiederbelebung des Glaubens, wobei ihr gleichzeitig eine starke soziale Komponente zu eigen war. In Bezug auf das persönliche Leben entfaltete dieser vom Calvinismus geprägte religiöse Fundamentalismus (Puritanismus), nicht zuletzt unter dem Druck von außen, rigide Moralvorstellungen. Seine soziale Basis besaß er eindeutig im Mittelstand. Als diesem Mittelstand im Zuge der hochabsolutistischen, den feudalen Landbesitz favorisierenden Finanz- und Steuerpolitik die Hauptlast aufgebürdet wurde und er sich dagegen wehrte, wuchs die mittelständisch-puritanische Opposition gegen das Staatskirchenestablishment der Stuartmonarchie. Aber auch Kleinbauern, Landpächter und Landarbeiter, die infolge der Einhegungspolitik auf Kosten der Allmende, des Gemeineigentums an Grund und Boden, ihre Existenz verloren hatten, schlossen sich dem Dissidententum an. Der politische Protest kleidete sich mithin in ein religiöses Gewand. Zugleich artikulierte sich im Puritanismus ein auf den Begriffen von Arbeit, Disziplin, Selbstverantwortung und Rationalität aufbauendes modernes Wirtschaftsdenken.
 
Mit der Landung der ersten Puritaner, der berühmten Pilgerväter (Pilgrim Fathers), auf der Mayflower am 19. November 1620 in New Plymouth in der Massachusetts Bay erreichte der religiöse dissent erstmals amerikanischen Boden. Die Pilgrim Fathers gehörten dem radikalen Flügel des Puritanismus an, der sich von der Staatskirche gelöst hatte und 1607 in das tolerante Holland ausgewichen war. Um ihre englische und puritanische Identität nicht zu verlieren, entschlossen sich die »Heiligen« (saints), zusammen mit in London dazugestoßenen Auswanderern mit »weltlicheren« Motiven (strangers), nach Amerika zu gehen. Aber erst 1630 setzte der große Exodus der englischen Puritaner nach Nordamerika ein. Unter Führung eines vom sozialen Abstieg bedrohten Grundbesitzers aus Suffolk, des Aristokraten John Winthrop, segelten etwa 1000 Auswanderer auf vier Schiffen, finanziert von der Massachusetts Bay Company, von Southampton zur nordamerikanischen Ostküste, wo sie am 12. Juni 1630 in Salem eintrafen. Bis 1643 siedelten bereits 20000 von ihnen in Massachusetts.
 
Die Hauptanstrengungen der Puritaner richteten sich eindeutig auf die Errichtung und äußere wie innere Festigung ihres eigenen Gemeinwesens, in dem sie ihre religiös-politischen Idealvorstellungen von einem »neuen Jerusalem« verwirklichen konnten.
 
 Puritaner und Indianer
 
Ihr in England praktiziertes Verhalten der Abschottung, das notwendig war, um als religiös-politische Minderheit zu überleben, setzten die Puritaner in der Neuen Welt fort, nun in einer ausgesprochenen Grenzermentalität gegenüber der ständig als Bedrohung empfundenen Mehrheit der Indianer. Die allumschließende Ordnung der Institutionen, des geschriebenen Gesetzes und der Hierarchie diente angesichts einer kargen Umgebung und gefahrvollen Umwelt als Halt, führte aber auch zu der dogmatischen Engstirnigkeit der Puritaner. Tatsächlich schufen das puritanische Arbeitsethos und das Bewusstsein, Gottes auserwähltes Volk (God's Chosen People) zu sein, die besten Voraussetzungen, in der Neuen Welt zu bestehen.
 
Unnachgiebig gingen die Puritaner deshalb daran, in einer »orthodoxen Theokratie« ihre religiös-politischen Anschauungen und ihre Lebensführung in dem von ihnen kontrollierten Teil der Welt durchzusetzen. In diesem Weltbild gab es keinen Platz für die Werte einer anderen Kultur. Ihre elitäre Auserwähltheitsdoktrin und die aus ihr folgenden rigorosen Moralvorstellungen erschwerten es selbst den eigenen Leuten, sich für die volle Kirchenmitgliedschaft zu qualifizieren und sich immer richtig zu verhalten, wofür die Hexenverfolgungen 1692 in Salem, bei denen 19 Personen hingerichtet wurden, beredtes Zeugnis ablegen. Und wie sie sich selbst als das »neue Israel« sahen, erblickten sie nach dem Auszug aus »Ägypten« in dem vorgefundenen Indianerland das ihnen von Gott geschenkte »neue Kanaan«. Es den zu neuen Kanaanitern und Edomitern erklärten Indianern fortzunehmen und sie mit Feuer und Schwert auszurotten, entsprach nach ihrem alttestamentlichen Bibelverständnis dem »offenbaren« Willen Gottes und seinem Heilsplan.
 
Mitte der Dreißigerjahre des 17. Jahrhunderts fühlten sich die Neuengländer so weit gerüstet, dass sie nicht mehr vor einem militärischen Konflikt zurückschreckten. Ein Beweis dafür ist der 1637 von den Puritanern angezettelte Krieg mit den Pequot (Pequot War). Gemeinsam mit verbündeten Indianern, den Narragansett und Mohegan, vernichteten sie, nachdem die meisten Pequot geflohen waren, ein Dorf dieser Indianergruppe bei Mystic in Connecticut. 500 bis 600 indianische Männer, Frauen und Kinder wurden in weniger als einer Stunde — bei zwei Toten auf englischer Seite — in einem Massaker niedergemacht. Die Überlebenden des Pequotkrieges wurden versklavt; die Nation der Pequot wurde ein Jahr später für aufgelöst erklärt.
 
Göttliche »Bundesgenossen« erblickten die Puritaner in den verheerenden Seuchen wie Typhus, Gelbfieber, Diphterie, Grippe oder Pocken. Sie haben tatsächlich wohl mehr Indianer dahingerafft als die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen »Bleichgesichtern« und »Rothäuten«. So hatten bereits vor Ankunft der Pilgerväter vermutlich von englischen Sklavenhändlern eingeschleppte Epidemien die auf dem späteren Siedlungsgebiet der Puritaner lebenden Wampanoag um zwei Drittel, die Massachuset gar zu 90 Prozent vernichtet. John Winthrop kommentierte diesen Sachverhalt als Werk der göttlichen Vorsehung: »Was die Eingeborenen betrifft, so sind sie nunmehr sämtlich den Pocken erlegen, sodass der Herr unsere Ansprüche klargestellt hat auf das, was wir besitzen.« Im Krieg gegen die Indianer im Ohiogebiet (Pontiac's Rebellion) 1763 stellte man sogar Überlegungen an, ob und wie man die Indianer mit Pocken infizieren könnte.
 
 »Betende Indianer«
 
Einerseits stand das puritanische Bild der Welt als eines Schauplatzes, auf dem sich Gut und Böse gegenüberstehen, als einer Auseinandersetzung, in der »Erwählte« gegen die Armeen des Satans fechten, im Grunde dem Missionsgedanken entgegen; denn wer anders sollte die Mächte des Bösen verkörpern als die offenbar kulturell so andersartigen Indianer? Andererseits gab es in der puritanischen Theologie, repräsentiert durch Geistliche wie John Cotton und Cotton Mather im Wesentlichen zwei Motive, die den Ansatz für die Missionsarbeit lieferten: den Ruhm Gottes und das Mitleid mit den Indianern. Von daher stand die Mission als Teil einer Bewegung, die sich insgesamt als gottgefällig und auserwählt interpretierte, beim Aufbau des »neuen Jerusalem« nicht grundsätzlich abseits, wenn ihr auch eher ein beiläufiger Charakter zukam. Jedenfalls war die englische Mission in der kolonialen Phase Nordamerikas bis auf die bescheidenen Versuche der Anglikaner bei den Mohawk, der Herrnhuter Brüdergemeine am Delaware und von einigen Quäkern ausschließlich calvinistisch. Ihr Zentrum war die Massachusetts-Bay-Kolonie.
 
Es dauerte allerdings bis in die Mitte der 1640er-Jahre, bis erste Ansätze einer Missionsarbeit unternommen wurden. Sie lag in den Händen einiger weniger Geistlicher, die sich für die Bekehrung der Indianer zuständig fühlten. Der erste und zweifellos berühmteste dieser puritanischen Indianermissionare war John Eliot. Auf der Basis der Weisung von Exodus 18, 21—22 ging der bis heute als »Apostel der Indianer« verehrte Eliot daran, seine theokratischen Ordnungsvorstellungen und seine Hoffnung auf ein christliches Gemeinwesen, die er in seinem Werk »Der Christenstaat oder Die zivile Politik des anbrechenden Königreichs Jesu Christi« entwickelt hatte, auf die Indianer zu übertragen, wobei »zivile Gesellschaft« und »Kirchengesellschaft« von vornherein eine Einheit bildeten. Bevor die Indianer aber christianisiert werden konnten, mussten sie jedoch nach seiner und puritanischer Überzeugung erst zivilisiert werden. Die Devise lautete daher, ganz ähnlich wie in der iberischen und französischen Kolonialideologie: »Zivilisation für ihren Körper« und »Christentum für ihre Seele«.
 
Den Anfang des Missionswerks machte Natick in der Nähe von Boston, das zu einer Keimzelle der »betenden Indianer« wurde. Nachdem die Gebietsfragen mit den englischen Kolonialbehörden geklärt waren, entstanden weitere »betende Dörfer«, alle im Umkreis von 70 Meilen um Boston. Bis 1674 waren 14 von ihnen errichtet. Zur Errichtung eines Dorfes gehörte der Bau fester Häuser und die Anlage eines nach englischem Vorbild gestalteten Straßensystems. In diesen Dörfern lebten die Indianer von Viehzucht, Acker- und Gartenbau sowie Fischfang. Auf diese Weise sollten sie in ein nach puritanisch-europäischen Vorstellungen aufgebautes Gemeinwesen eingegliedert werden.
 
Trotz ihrer Bekehrung und Sesshaftigkeit blieben die »betenden Indianer« zivilisierte Christen zweiter Klasse. Als daher 1675 der zweite große Indianerkrieg der Kolonie, der King Philip's War, ausbrach — die Hauptursache lag eindeutig im Landhunger der Puritaner, gegen den sich die Indianer in einem verzweifelten Akt erhoben —, sollten ihnen selbst ihre den Weißen angebotenen Hilfsdienste im Kampf gegen die vom Häuptling der Wampanoag, Metacomet, angeführte Indianerkoalition nichts helfen. Die Siedler nutzten die Gelegenheit zu einer Abrechnung mit allen Indianern, die wenigen überlebenden christlichen Indianer verloren ihre restliche Autonomie. Sogar das Modell der »betenden Dörfer« war dem Modell der Reservation gewichen.
 
 Weitere Koloniegründungen
 
Gold und den Weg nach »Indien« hatten auch die Engländer zunächst in der Neuen Welt gesucht. Zwei andere Ziele wurden indes für den englischen Expansionismus in dieser Weltregion zentral: Land, das in England so schwierig zu erwerben war und das man in Amerika reichlich vorfand oder den Ureinwohnern fortnehmen konnte, und die Verwirklichung politischer und religiöser Freiheit. Bei der Realisierung dieser Ziele kam den Kolonisten die — im Vergleich mit dem Kolonialexpansionismus der Iberer — nur geringe Organisation der englischen Überseepolitik entgegen. Zwar unterstanden letztlich alle Kolonien der Krone, aber es gab weder eine zentrale Kolonialgesetzgebung noch so etwas wie eine Indianerpolitik.
 
Die weitgehende Freiheit der Siedler führte schon früh zur Bildung von Selbstverwaltungseinrichtungen. Bereits am 30. Juni 1619 war in der Kirche von Jamestown das erste Kolonialparlament mit 22 Mitgliedern zusammengetreten, womit nicht nur freiheitliche Prinzipien des Mutterlandes auf amerikanischem Boden Fuß fassten, sondern sich auch erster Widerstand der Siedler gegen autokratische Tendenzen der Krone regte. Künftig standen in der Regel neben den vom Inhaber der Freibriefe beziehungsweise der Krone eingesetzten Gouverneuren Selbstverwaltungskörperschaften (general assemblies oder general courts). Während die den Gouverneuren beigeordneten Beratungsgremien (councils) zugleich als Oberhaus und oberstes Gericht fungierten, bildeten diese Körperschaften, denen Gesetzgebung, Steuerermächtigung und Haushaltskontrolle oblagen, quasi das Repräsentantenhaus. Die freien Siedler (freemen) erhielten unter bestimmten Voraussetzungen — vor allem Vermögen — aktives und passives Wahlrecht zur Bildung dieser Repräsentativorgane. Starker Anteil an der Entstehung repräsentativ-freiheitlicher Institutionen kommt der Vorstellung der Puritaner von der selbstständigen Gemeinde (congregation) und ihrer Organisation als religiöser und politischer Einheit zu. Bereits auf der Mayflower hatten sie eine Vereinbarung (compact) unterzeichnet, der zufolge Regierung und Gesetze aus gemeinsamen Beschlüssen hervorgehen sollten — Mythos und Ritual der späteren Vereinigten Staaten. Die Einheit von religiöser und politischer Gemeindebildung bedeutete allerdings auch die Ächtung Andersgläubiger wie etwa der Juden oder der Katholiken.
 
Der Ausschluss von Katholiken vom Gebiet der puritanischen Massachusetts-Bay-Kolonie war daher Anlass für die Gründung der ersten Eigentümerkolonie. 1632 erhielt der Katholik George Calvert, Lord Baltimore, von Karl I. einen Freibrief, der ihn zum persönlichen Besitzer (proprietor) eines weitläufigen Gebietes im nördlichen, unbesiedelten Teil Virginias, das 1624 zur Kronkolonie geworden war, erhob. Sein Sohn gründete daraufhin die nach der katholischen Gemahlin Karls I., Henriette Maria, benannte Kolonie Maryland, die vor allem Katholiken offen stehen sollte, in der aber, trotz einiger feudaler Grundherrschaften katholischer Adliger, Protestanten ein Übergewicht gewannen. Diese erzwangen gegenüber dem mächtigen Eigentümer 1649 die Einrichtung eines Repräsentationssystems und ein Toleranzedikt, in dem allen bekennenden Christen religiöse Freiheit zugestanden wurde.
 
Keimzelle der Neuenglandkolonien, die alle durch den radikalen Protestantismus der Puritaner geprägt wurden, bildete die sich von Boston aus ausbreitende Massachusetts-Bay-Kolonie. Ihre strenge theokratische Staatsordnung (Holy Commonwealth) sowie die Intoleranz ihrer Anführer führte zum Fortgang oder zur Verbannung von religiösen und politischen Dissidenten wie Roger Williams, der für die Rechte der Indianer eintrat und 1636 Providence als Zufluchtsstätte für verfolgte Gläubige jeden Bekenntnisses gründete. Das Schicksal der Vertreibung durch die puritanische Oligarchie traf auch die Anhänger der spiritualistischen Erwählungslehre der Anne Hutchinson, die Portsmouth und Newport gründeten. Aus dem Zusammenschluss dieser und anderer Gruppen entstand die Kolonie Rhode Island, die 1644 einen Freibrief des englischen Parlaments erhielt, den Karl II. 1663 bestätigte. Die Kolonie wurde ein Beispiel für religiös-politische Toleranz. Sie war die erste, die Juden und Quäker aufnahm. Mit der Trennung von Staat und Kirche führte sie ein wichtiges Prinzip der späteren amerikanischen Verfassung ein. Andere Kolonien verfolgten eher die politische Linie der Massachusetts-Bay-Kolonie, so Connecticut und New Hampshire. Andere Puritaner unter Führung des namhaften kongregationalistischen, das heißt calvinistischen Theologen Thomas Hooker gründeten 1638 New Haven, das sich 1662 an Connecticut anschloss. Dessen Gouverneur John Winthrop jr. erhielt im gleichen Jahr einen königlichen Freibrief für die Kolonie.
 
Nach der Restauration der Stuartdynastie 1660 kam es noch einmal zu einer Welle von Koloniegründungen, die durchweg Eigentümerkolonien waren. Bei den Besitzern handelte es sich zumeist um Mitglieder des Königshauses oder enge Gefolgsleute der Krone. So gab Karl II. 1663 das Gebiet Carolinas an acht hohe, ihm besonders treu ergebene Adlige, die die erhaltenen Ländereien freilich Landspekulanten überließen. Auf diese Weise erwarben zum Beispiel reiche Zuckerbarone von Barbados Landbesitz in Carolina. Ansonsten bestimmte eine starke innerkoloniale Migration die Zuwanderung in die Kolonie, die sich aufgrund ständiger politischer Auseinandersetzungen 1701 in South Carolina und North Carolina trennte.
 
Auch die mittleren Kolonien New York, New Jersey, Delaware und Pennsylvania befanden sich zunächst in privatem Besitz. 1664 erhielt der Bruder Karls II., der Herzog von York und spätere Jakob II., die Kolonie New York; das Gebiet musste zuerst den Niederländern, die es ihrerseits den Schweden entrissen hatten, fortgenommen werden. Delaware wurde 1682 Teil Pennsylvanias mit eigener assembly und 1775 selbstständig. Auch New Jersey gehörte zunächst dem Herzog von York, der seine Eigentümerrechte an dem Gebiet zwischen Hudson River und Delaware River jedoch an zwei Gefolgsleute weiterschenkte; 1702 wurde es Kronkolonie. Die englischen Kolonien bildeten jetzt eine geschlossene Kette entlang der Ostküste Nordamerikas zwischen den spanischen Besitzungen — Florida — und dem französischen Kanada.
 
 William Penns »heiliges Experiment«
 
In erster Linie um die Verwirklichung der eigenen gesellschaftspolitischen, religiösen und pazifistischen Ziele ging es dem englischen Quäker William Penn mit seinem »heiligen Experiment« in Pennsylvania. Die Krone sah dagegen aufgrund der strategisch wichtigen Lage Pennsylvanias in der Eigentümerkolonie — Penn hatte sie 1681 aufgrund finanzieller Verpflichtungen der Krone seinem Vater gegenüber erhalten — ein Bollwerk gegen die Franzosen.
 
Die Kolonie mit dem zentralen Handelsplatz Philadelphia, der »Stadt der Bruderliebe«, wuchs schnell. 1685 verfügte sie bereits über 8000 Siedler. An Penns Kolonisationsunternehmen waren erstmals auch in größerem Umfang Siedler aus Deutschland beteiligt. Pietistische Kreise und Gruppen aus dem protestantischen Sektenmilieu sahen, nachdem Penn persönlich für sein Projekt in Deutschland geworben hatte, in der Neuen Welt eine Chance sowohl zur Vertretung ihrer religiösen Anschauungen als auch zur Lösung sozialer Probleme. Im Auftrag einer Frankfurter Landkompanie erwarb Francis Daniel Pastorius 15000 Acres Land von Penn und gründete Germantown, heute ein Stadtteil von Philadelphia.
 
Rassisch-religiöse Toleranz übten die Quäker, die »Religiöse Gesellschaft der Freunde«, auch gegenüber den Indianern. Zu der fairen Behandlung der eigentlichen Landesbewohner gehörte die Anerkennung ihres Landbesitzes. Penn war der Erste, der ihnen das Land abkaufte und es ihnen nicht gewaltsam fortnahm. Die Landabtretungsverträge, die er mit den Indianern abschloss — wobei ihm freilich deren rege Nachfrage nach europäischen Gütern entgegenkam —, stellen ein nur zu seltenes Beispiel friedlichen Landerwerbs in europäischen Kolonialgebieten, erst recht in Amerika, dar.
 
Seit dem 2. Viertel des 18. Jahrhunderts mussten die »Freunde« eine drastische Verschlechterung in den gegenseitigen Beziehungen erkennen. Entfremdung und blutige Auseinandersetzungen beendeten schließlich William Penns »heiliges Experiment«. Die Zunahme einflussreicher Nichtquäker in der Kolonie, der aufkommende englisch-französische Gegensatz, der wiederum die Indianer spaltete, wohingegen sich auf der anderen Seite merkantile Interessen und Quäkerprinzipien letztlich als unvereinbar erwiesen, vor allem jedoch die sich unter dem Druck der Siedler immer weiter nach Westen verschiebende Grenze zerstörten die Hoffnung auf eine gegenseitige Interessenallianz. Landerwerb und friedliche Koexistenz mit den Indianern hatten sich als unvereinbar erwiesen.
 
1732 wurde schließlich das südlich der Carolinas gelegene Georgia, nach dem englischen König Georg II. benannt, als letzte der dreizehn »alten« Koloniegründungen an eine Gruppe von Treuhändern um den sozial engagierten James Oglethorpe vergeben, die die Kolonie von England aus regierte. Geplant war sie als Pufferzone gegen Neuspanien und das französische Louisiana sowie als Siedlungsgebiet für entlassene Sträflinge und Opfer der Schuldhaft. 1752 übernahm die britische Krone die — trotz des Zuzugs von Schotten und Deutschen, den »Salzburger Exulanten« — nur mäßig prosperierende Kolonie.
 
 Gesellschaft und Wirtschaft
 
Charakteristisch für den englischen Expansionismus in der Neuen Welt war die Anlage von Siedlungskolonien mit großen Zuwanderungsraten. Die Bevölkerungszahl stieg von etwa 2000 im Jahr 1620 auf etwa 2,5 Millionen bis zum Ende der Kolonialepoche, davon ungefähr ein Fünftel schwarzafrikanische Sklaven. Bis 1680 waren etwa neun Zehntel der weißen Bevölkerung englischstämmig, danach kamen vermehrt Einwanderer aus Nordirland (Iroschotten), aus Schottland, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Die zunächst geschlossene Siedlungsweise bot Schutz vor den Indianern, entsprach aber auch dem puritanischen Gemeindeideal mit seiner gegenseitigen Überwachung. Ebenfalls religiös motiviert war das Arbeitsethos, das das harte tägliche Leben bestimmte; Letzteres bezog alle Familienmitglieder in die Erschließung des Bodens mit ein (family farming), im Unterschied zur Arbeitshaltung in den iberischen Kolonien Südamerikas. Viele Einwanderer kamen aber auch als indentured servants oder redemptioners nach Nordamerika. Während es sich bei Ersteren um europäische Arbeitskräfte handelte, die in einer bestimmten Zeit, meist drei bis fünf Jahre, die Kosten für Überfahrt und Unterhalt während ihrer »Vertragsknechtschaft« abarbeiten mussten, regelten bei Letzteren, die keinen Kontrakt über ihr Arbeitsverhältnis besaßen, die Kolonien die Bedingungen der Arbeitsverpflichtung. Wachsende Kosten für die »weißen Sklaven« — wegen der verbesserten wirtschaftlichen Lage in England — und die Expansion der Plantagenwirtschaft führten nach 1680 zu einem Anwachsen der afrikanischen Zwangsmigration. Zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor wurde die Sklaverei aber nur in den südlichen Kolonien. Sträflinge machten vornehmlich im 18. Jahrhundert einen beträchtlichen Teil der englischen Amerikaeinwanderer aus. Indianer nahmen in den Siedlungen der Europäer ausnahmslos eine Randstellung ein.
 
Generell lassen sich innerhalb des englischen Kolonialreiches in Amerika drei bzw. vier sichtbar verschiedenartige Regionen unterscheiden: das eigentliche Neuengland, die mittleren Kolonien und die Kolonien im Süden, dazu der Grenzraum im Westen, die frontier. Neuengland besaß von diesen Gebieten zweifelsohne die homogenste Bevölkerung: Sie war überwiegend englischer Abstammung, vom Puritanismus geprägt und zeichnete sich durch eine weitgehend egalitäre Sozialstruktur und gesellschaftskonforme Lebensart aus. Haupterwerbszweige bildeten die Landwirtschaft und der Fischfang, die einen gewissen Wohlstand zuließen. Beträchtliche Reichtümer sammelten sich in Boston und anderen Küstenstädten an, wo Schiffswerften, Sägewerke, Gerbereien, Wollspinnereien und — auf der Basis des Zuckers aus der Karibik — Rumbrennereien entstanden und von wo Handelsschiffe, Sklaventransporter und Walfänger bis nach Afrika verkehrten. Überdies zeichnete sich Neuengland durch ein beachtliches Bildungsniveau aus.
 
In den mittleren Kolonien New York, New Jersey und Pennsylvania war die Bevölkerung ethnisch unterschiedlicher, das religiöse Leben vielgestaltiger sowie die gesamte Lebenshaltung weniger streng geregelt als im puritanischen Norden. Die Städte New York und Philadelphia etablierten sich neben Boston als bedeutende Handelsplätze und Gewerbezentren. Im Tal des Hudson River und des Delaware River bauten reiche Farmer Mais, Kartoffeln und europäische Getreidearten an und betrieben Viehzucht. Nirgends sonst in den englischen Kolonien Amerikas konnten sich Wirtschaft und Geistesleben so ungehindert entfalten wie dort.
 
Oligarchisch strukturiert und von einem ländlichen Lebensstil geprägt waren die südlichen Kolonien, in denen eine mehr oder weniger reiche Pflanzeraristokratie Großbetriebe mithilfe von Sklaven bewirtschaftete. In Virginia stellten die Sklaven zum Ende der Kolonialzeit 20 Prozent der Arbeitskräfte und 40 Prozent der Bevölkerung. Harte Sklavengesetze (slave codes) mit drakonischen Strafen selbst für kleinste Vergehen sorgten für die Aufrechterhaltung der Sklavenhaltergesellschaft, zumal die Freilassung von Sklaven sehr selten vorkam; in Virginia betrug zum Beispiel im Jahr 1760 der Anteil der freien Schwarzen an der schwarzen Bevölkerung zwischen zwei und drei Prozent. Neben den Sklaven gab es aber auch zahlreiche »arme Weiße«, die ein zusätzliches Potenzial für den manifesten Rassismus des Südens bildeten. Hauptanbauprodukte waren Tabak in Virginia und Maryland, Indigo und Reis in South Carolina und Georgia. Das religiöse Leben bestimmte eindeutig die anglikanische Kirche. Dagegen sollte das westliche Hinterland der Kolonien, in denen sich die Pioniere der »wandernden Grenze«, Jäger, Pelzhändler und Holzfäller, aber auch Abenteurer, Flüchtlinge und Außenseiter aufhielten, erst im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung an Bedeutung gewinnen.
 
 Der Verlust einer Kolonie
 
Im Zuge der merkantilistischen Politik des absolutistischen Staates, der Kolonien als wichtige Rohstofflieferanten und Absatzgebiete für Manufakturwaren betrachtete, begann auch der englische Kolonialstaat seinem amerikanischen Imperium mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die zwischen 1651 und 1696 erlassenen Navigationsgesetze schlossen nichtenglische Schiffe vom Handel zwischen England und den Kolonien aus. Wichtige koloniale Produkte wie Zucker, Tabak und Indigo, später auch Reis, Melasse und Biberfelle, durften nur noch nach England geliefert, europäische Manufakturwaren allein von englischen Häfen eingeführt werden. Koloniale Angelegenheiten, für die bislang der Privy Council zuständig war, wurden 1696 dem neu errichteten Board of Trade and Plantations übertragen. Die zum Teil weit reichenden Selbstverwaltungsrechte, die sich in den Handelsgesellschafts- und Eigentümerkolonien entwickelt hatten, wurden bis 1720 mehrheitlich durch die Form der »königlichen Kolonie« eingeschränkt. Weitere, den Kolonien gegenüber restriktive Gesetze folgten in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts, so Verbote betreffend die Hutproduktion und Eisenverarbeitung sowie hohe Zölle auf Melasse und Zucker aus Französisch-Westindien, Grundprodukte für die in Neuengland blühende Rumdestillation. Mitte des 18. Jahrhunderts nahmen die Kolonien bis zu einem Viertel des gesamten englischen Exports auf.
 
Diese einseitige Ausrichtung der Wirtschaft auf das Mutterland stand notwendigerweise im Widerspruch zum expandierenden Handel und Gewerbe in den Kolonien. Eine weitere Verschärfung des sich anbahnenden Konflikts brachten die seit 1680 andauernden Auseinandersetzungen Englands mit seinem französischen Kolonialrivalen. Zwar führte der Sieg der Engländer im in Amerika als French and Indian War geführten Siebenjährigen Krieg 1763 zum Gewinn Neufrankreichs und zur Position der alleinigen Kolonialmacht in Nordamerika. Aber die Kriege mit den Franzosen und ihren indianischen Verbündeten waren äußerst kostspielig gewesen. Um weitere Auseinandersetzungen mit den Indianern zu vermeiden — der zunächst erfolgreiche Aufstand unter dem Ottawahäuptling Pontiac im Nordwesten des Kolonialgebietes im Jahre des Friedensschlusses mit den Franzosen diente als Menetekel —, legte der Kolonial- staat eine etwa entlang dem Kamm der Appalachen verlaufende »Proklamationslinie« fest, die von den Siedlern nicht überschritten werden sollte. Mit dieser eingrenzenden Konzeption setzte er sich aber in Gegensatz zu Siedlern und Landspekulanten in diesem Raum.
 
Den Ausschlag für den schließlich offen ausbrechenden Konflikt zwischen Mutterland und Kolonien gaben weitere Zwangsgesetze, so eine ganze Reihe von Einfuhrzöllen, unter anderem auf Zucker, Textilien, Kaffee, Wein, Tee, Blei, Farbe und Papier, sowie Gebühren für die Ausstellung von Urkunden und Abgaben auf Zeitungen, Druckschriften, Spielkarten und Würfel. Da die politisch selbstbewussten Kolonisten nicht an der Entscheidung beteiligt waren, setzten sie sich unter der Losung no taxation without representation (keine Besteuerung ohne Stimmrecht) zur Wehr. Am Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen standen die »Vereinigten Staaten von Amerika«; England hatte das wichtigste Teilstück seines ersten Empire verloren.
 
Prof. Dr. Horst Gründer
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
britisch-französisches Ringen um die Vorherrschaft in der Welt (1700 bis 1815): Eine Insel auf dem Weg zur Weltmacht
 
Amerikanische Revolution (1776 bis 1783): Das Streben nach Glück
 
Indianer Nordamerikas (16. bis 18. Jahrhundert): Kinder Manitus
 
 
Davidson, Robert L. D.: War comes to Quaker Pennsylvania, 1682-1756. New York 1957.
 Eliot, John: The Christian commonwealth. Or the civil policy of the rising kingdom of Jesus Christ. London 1659.Nachdruck New York 1972.
 
Geschichte in Quellen, herausgegeben von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke. Band 3, bearbeitet von Fritz Dickmann. München 1966.
 Gilbert, Humphrey: A discourse of a discouerie for a new passage to Cataia. London 1576. Nachdruck Amsterdam 1968.
 Hakluyt, Richard: A discourse concerning western planting, written in the year 1584 by Richard Hakluyt, now first printed from a contemporary manuscript, herausgegeben von Leonard Woods u. a. Cambridge, Mass., 1877.
 Hakluyt, Richard: Divers voyages touching the discouerie of America, and the ilands adiacent unto the same,. .. London 1582. Nachdruck Amsterdam 1967.
 Hakluyt, Richard: The principal navigations, voiages, traffiqves and discoueries of the English nation, made by sea or ouer-land,. .., 3 Bände London 1598-1600. Nachdruck New York 1965.
 Middleton, Richard: Colonial America. A history, 1607-1760. Cambridge, Mass., u. a. 1992. Nachdruck Cambridge, Mass., u. a. 1994.
 Sautter, Udo: Geschichte Kanadas. Von der europäischen Entdeckung bis zur Gegenwart. Neuausgabe München 1992.
 Ward, Harry M.: Colonial America. 1607-1763. Englewood Cliffs, N. J., 1991.
 
Winthrop papers, 1498-1649, herausgegeben von Allyn Bailey Forbes. Band 2: 1629-1630. Boston, Mass., 1931.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Britisches Empire — Das Britische Weltreich im Jahre 1921 Das Britische Weltreich (englisch British Empire), auch Britisches Imperium genannt, war die größte Kolonialmacht der Geschichte mit Kolonien auf allen Kontinenten. Die vom Vereinigten Königreich beherrschten …   Deutsch Wikipedia

  • Britisches Imperium — Das Britische Weltreich im Jahre 1921 Das Britische Weltreich (englisch British Empire), auch Britisches Imperium genannt, war die größte Kolonialmacht der Geschichte mit Kolonien auf allen Kontinenten. Die vom Vereinigten Königreich beherrschten …   Deutsch Wikipedia

  • Britisches Reich — Das Britische Weltreich im Jahre 1921 Das Britische Weltreich (englisch British Empire), auch Britisches Imperium genannt, war die größte Kolonialmacht der Geschichte mit Kolonien auf allen Kontinenten. Die vom Vereinigten Königreich beherrschten …   Deutsch Wikipedia

  • Britisches Weltreich — Sämtliche Gebiete, die jemals Teil des Britischen Weltreichs waren (heutige Territorien sind rot unterstrichen) Das Britische Weltreich (auch Britisches Empire genannt; engl. British Empire) war die größte Kolonialmacht der Geschichte. Es… …   Deutsch Wikipedia

  • Britische Kolonisierung Amerikas — Die Besiedlung und Kolonisierung des amerikanischen Doppelkontinents durch das Königreich England, hernach Königreich Großbritannien, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland und schließlich Vereinigtes Königreich Großbritannien und… …   Deutsch Wikipedia

  • Britisches Überseegebiet — Lage der Britischen Überseegebiete Die Britischen Überseegebiete sind 14 (Stand: 2006) Gebiete, die nicht Teil des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland sind, aber unter seiner Souveränität stehen. Sie liegen zum größten Teil… …   Deutsch Wikipedia

  • Britische Überseegebiete — Lage der Britischen Überseegebiete Die Britischen Überseegebiete sind 14 (Stand: 2006) Gebiete, die nicht Teil des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland sind, aber unter seiner Souveränität stehen. Sie liegen zum größten Teil… …   Deutsch Wikipedia

  • Britische Monarchie — Wappen des britischen Monarchen (links die englische Version, rechts die schottische) Die britische Monarchie ist die konstitutionelle Monarchie des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Gegenwärtiger Monarch ist seit dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Britische Kolonien und Protektorate — Das Vereinigte Königreich war die größte Kolonialmacht der Geschichte mit Kolonien und Protektoraten auf jedem der bewohnten Kontinente. Britische Kolonien und Protektorate bedeckten im ausgehenden 19. Jahrhundert fast ein Viertel der… …   Deutsch Wikipedia

  • Britische Kolonie — Das Vereinigte Königreich war die größte Kolonialmacht der Geschichte mit Kolonien auf jedem der bewohnten Kontinente. Britische Kolonien bedeckten im ausgehenden 19. Jahrhundert fast ein Viertel der Landfläche der Erde; die Entwicklung von… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”